Bund und Länder sollen bis Herbst Reform umsetzen - Regierung auch bei Hospiz- und Palliativversorgung säumig - Vertrauensvorschuss für Kabinett Nehammer
Caritas-Präsident Michael Landau fordert von der Bundesregierung die Einrichtung eines eigenen Pflege-Staatssekretariats. Sozial- und Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne) sei nachvollziehbar schon jetzt "mit einer Vielzahl an Themen und dem Corona-Krisenmanagement bis an die Grenzen gefordert", begründet er im APA-Interview seinen Vorstoß. Bund und Länder mahnt er ein, den seit Jahren angekündigten Masterplan Pflege endlich umzusetzen.
Generell spricht Landau dem neuen Kabinett von Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) einen Vertrauensvorschuss aus. "Wir haben in den vergangenen Monaten mit Sicherheit so etwas wie einen politischen Klimasturz erlebt und in der Folge eine massive Vertrauenskrise", resümiert der Caritas-Präsident, aber: "Ich glaube, dass die handelnden Personen den Ernst der Lage erkannt haben." In der Coronakrise trage die Bevölkerung notwendige Maßnahmen nur so lange mit, solange sie der Regierung vertraut.
Nun gelte es, zu einer gemeinsamen Sprache zurückzukehren, meint Landau. Er erhofft sich mit dem Wechsel im Kanzleramt eine "verbale Abrüstung und eine Rückkehr zu einer Sprache des Miteinanders und des Respekts in Politik und Gesellschaft. Wer sich dafür einsetzen möchte, dass sich die Stimmung auf den Straßen des Landes wieder beruhigt, muss sich zu allererst für eine Sprache des Dialogs in unserem Parlament stark machen. Und da sind alle politischen Parteien gefordert", findet der Caritas-Präsident.
Gefordert sieht Landau die Politik weiterhin in der Pflege. Seit Jahren werde von der Regierung ein Masterplan in Aussicht gestellt, der aber nach wie vor auf sich warten lasse. Darum kümmern solle sich, geht es nach dem Caritas-Präsidenten, ein eigener Staatssekretär oder eine Staatssekretärin. Die seit Jahren angekündigte Pflegereform müsse noch bis Herbst 2022 auf den Boden gebracht werden. Das drängendste Problem sei der Fachkräftemangel in diesem Bereich.
Ebenso auf die lange Bank geschoben sieht Landau den auch vom Verfassungsgerichtshof (VfGH) urgierten Ausbau der Hospiz- und Palliativversorgung. Zwar sei man als Caritas erleichtert, dass das Sterbeverfügungsgesetz noch vor Jahresende verabschiedet worden ist, da man sonst in eine ungeregelte Situation gekommen wäre. "Aber ich halte es für höchst bedauerlich, dass es nicht gelungen ist, gleichzeitig mit dem Gesetz auch den unerlässlichen Ausbau und die gesicherte Finanzierung des erforderlichen Hospiz- und Palliativangebots sicherzustellen."
Auch bei einem weiteren Schwerpunkt der Arbeit seiner Organisation macht Landau Druck: der Armut. "In der Krise ist deutlich geworden, dass der Sozialstaat wirkt", resümiert er. "Er muss jetzt aber auch dringend gestärkt und armutsfest ausgestaltet werden. Andernfalls drohen soziale Long-Covid-Folgen im Windschatten der Krise." Maßnahmen wie Kurzarbeit oder Einmalzahlungen seien "wichtig und richtig, aber sie können grundlegende Reformen nicht ersetzen".
Landau fordert unter anderem die Schaffung einer eigenen Grundsicherung für Kinder. Auch die sogenannte Sozialhilfe Neu müsse reformiert werden, ebenso der Familienbonus, der bei unteren Einkommensstufen so gut wie gar nicht ankomme. Die angekündigte Arbeitsmarktreform müsse sozial verträglich sein, etwa durch die dauerhafte Erhöhung der Nettoersatzrate beim Arbeitslosengeld unter Beibehaltung der Notstandshilfe. Weitere Forderungen betreffen einen Abschaltestopp für Haushalte mit Kindern sowie die rasche Umsetzung des Hilfsfonds zur Wohnungssicherung, um Delogierungen nach der Krise zu verhindern.
Ohne eine Vermögenssteuer beim Namen zu nennen, gibt der Caritas-Präsident abermals zu bedenken, dass das Vermögen von Milliardären während der Krise weltweit noch einmal angewachsen sei. "Wir kommen mit Neiddebatten nicht weiter. Aber es braucht eine politische Kraftanstrengung in Österreich und in Europa, damit infolge der Pandemie die Kluft zwischen Arm und Reich nicht größer, sondern kleiner wird", fordert er. "Hier geht es um Gerechtigkeit, auch im Blick auf die anstehenden Aufgaben. Und das ist eine Frage des Wollens und nicht des Könnens."