Ein Praxisbericht von Eva-Maria Sachs-Ortner unsere Demenzbeauftragte
Während die Beratungen fast ausschließlich von betreuenden Angehörigen von Menschen mit Demenz bzw. von Menschen mit Demenzverdacht in Anspruch genommen werden, richten sich die Betreuungsangebote an die erkrankten Personen selbst.
Heute möchte ich ein wenig aus „dem Nähkästchen“ plaudern und Ihnen über eines dieser Betreuungsangebote erzählen:
Die Vorgeschichte:
Es handelt sich um ein älteres Ehepaar – ich nenne sie im folgenden Beitrag Frau Ingrid und Herr Franz. Sie leben als Ehepaar alleine, vom Ortskern etwas abgelegen, in einem Einfamilienhaus. Der Ehemann ist an Demenz erkrankt, seine Ehefrau leidet an einer organischen Erkrankung und ist laufend in medizinischer Behandlung. Beide sind jedoch noch in einer guten körperlichen Konstitution und möchten den Alltag auch weiterhin mit möglichst wenig fremde Hilfe bewältigen.
Die Kontaktaufnahme mit mir erfolgte telefonisch über die Tochter. Sie ist das einzige Kind des Ehepaares und lebt mit ihrer Familie in einem anderen Bundesland. Sie macht sich große Sorgen, da sie das Gefühl hat, dass ihre Mutter, insbesondere durch die Persönlichkeitsveränderung des Vaters, sehr belastet ist. Sie berichtet: „Mein Vater hat immer viel und hart gearbeitet, er war auf dem Bau tätig. Heute kann er das nicht mehr. Er beschäftigt sich eigentlich gar nicht mehr alleine. Was jedoch in letzter Zeit häufiger vorkommt ist, dass er emotional sehr überschießend reagiert, speziell den einzigen Nachbarn gegenüber. Diese haben das Haus erst vor kurzem erstanden und stellen gerade um das Haus herum eine neue Gartenmauer auf. Mein Vater stattet ihnen regelmäßig einen Besuch ab und dabei kommt es immer wieder zu einem lautstarken Wortwechsel, da er sich in die Arbeiten einzumischen versucht.“
Der erste Hausbesuch:
Beim ersten Hausbesuch bestätigt die Ehefrau die Schilderungen ihrer Tochter, zudem meint sie: „Die Nachbarn sind das einzige Motiv für meinen Mann, das Haus zu verlassen. Ansonsten ist er zu nichts zu bewegen. Er begleitet mich auch nicht mehr zum Arzt und geht auch nicht mit zum Einkaufen. Es scheint ihm alles zu viel zu sein. Emotional ist er derzeit sehr instabil. Wegen jeder Kleinigkeit regt er sich sehr auf.“ Im Rahmen eines umfangreichen Beratungsgesprächs mit Frau Ingrid, stand, neben einer genauen Beschreibung des gemeinsamen Alltags, vor allem auch die Begegnung mit Herrn Franz im Mittelpunkt meiner Aufmerksamkeit.
Nach einer ausführlichen Anamneseerhebung (medizinische Diagnosen, Medikamente, Biografie, psychische Elementarfunktionen, Gewohnheiten und Ressourcen) war relativ schnell ersichtlich, worin das Hauptproblem liegt. Herr Franz war vom Beruf Maurer und Zimmermann. Er erzählt mir mit stolzer Stimme von seiner Arbeit. Er war immer der Ernährer der Familie, auch das Eigenheim hat er mit eigenen Händen aufgebaut. Von frühester Kindheit an wurde sein Leben über Arbeit und Fleiß definiert. Heute kann er sich aufgrund der vorhandenen kognitiven Defizite selbst nicht mehr beschäftigen. Er kann sich nicht mehr ausdenken, was zu tun ist und wie bestimmte Abläufe zu erfolgen haben. Den ganzen Tag über keine Aufgaben zu haben, belastet sein Identitätsgefühl sehr und ruft immer wieder neue Identitätskrisen in ihm hervor.
Derzeit veranlassen jedoch Herrn Franz die Arbeiten am Nachbargrundstück dazu, in seine alte Rolle zu schlüpfen und auf der Baustelle mitwirken zu wollen. Fehlt allerdings dem Umfeld das Wissen über die Demenzerkrankung und deren Symptome, sind Konflikte vorprogrammiert. Leider kommt es noch immer sehr häufig vor, dass die Demenzerkrankung in der Gesellschaft ein Tabuthema darstellt. Die Notwendigkeit eines klärenden Gesprächs mit den Nachbarn wurde daher als erste Intervention empfohlen.
In weiterer Folge wurden, neben der Wissensvermittlung über das Krankheitsbild Demenz und die Möglichkeiten der Selbstfürsorge für Frau Ingrid, identitätsstärkende Beschäftigungsmöglichkeiten für Herrn Franz überlegt. Hierbei ist in erster Linie hilfreich an den Alltagsstrukturen zu arbeiten.
Empfehlungen für den Alltag:
Es sind viele Ressourcen vorhanden und Herr Franz kann im Grunde so manche Tätigkeit im und ums Haus noch gut erledigen. Dafür benötigt er allerdings Anleitung und manchmal eine Starthilfe.
Um die Gesamtsituation zu entschärfen, kommt ab sofort 2 x wöchentlich eine Betreuerin ins Haus, die mit Herrn Franz die anstehenden Arbeiten bespricht und auch zum Teil mit ihm durchführt. Für die Tage dazwischen gibt es konkrete Arbeitsaufträge, wie z.B. Brennholz klein spalten, ein Vogelhaus zimmern, Walnüsse für die Weihnachtsbäckerei knacken, oder das gute, alte Werkzeug in Schwung halten. Wird zwischendurch den Nachbarn ein Kurzbesuch abgestattet, signalisieren diese Interesse an den Ratschlägen, die Herr Franz mit Eifer erteilt.
Frau Ingrid nutzt die Zeit der externen Betreuung ihres Ehemannes um kleine Spaziergänge zu unternehmen, oder sich mit einer Freundin auf einen Kaffeeplausch zu treffen.
Schlusswort:
Eine Demenzerkrankung ist mit vielen Herausforderungen an die vorab gelebte Identität verbunden. Lebensschwerpunkte und sinnstiftende Gewohnheiten können oftmals nicht mehr durchlebt werden und die Identität droht zu zerbrechen. Ziel meiner Beratungstätigkeit ist es, neben vielfältiger Informationsvermittlung, vor allem durch sensibles Hinhören, die Identitätsbedürfnisse wahrzunehmen und für die weitere Begleitung als individuelle Angebote zu erarbeiten. Nur so kann Lebensfreude und somit eine positive Gefühlshaltung zurückgewonnen werden. Geht es Herrn Franz emotional gut, fühlt er sich wohl, wird sich das positiv auf das gesamte soziale Gefüge auswirken. Dies trifft jedoch auch auf die Ehegattin zu.
Denn: „Nur wer sich gut um sich selbst kümmert, kann sich auch gut um andere kümmern und darin eine sinnvolle Aufgabe erkennen.“
Sie brauchen auch Rat und Hilfe? Unsere Demenzexpertin, Eva-Maria Sachs-Ortner ist unter der Nummer 0676 346 75 30 oder per Mail e.sachs-ortner(at)caritas-kaernten.atfür Sie erreichbar.