Im Interview mit Michael Zehentner, der Einblicke in den Pflegealltag gibt

Seit knapp 40 Jahren ist Michael Zehetner, der eigentlich Buchdrucker gelernt hat, in der Altenpflege tätig. Für ihn ist sein Job der beste der Welt. Sein größter Wunsch: Mehr Zeit für die BewohnerInnen. "Zeit spielt eine große Rolle. Denn Um Menschen menschlich zu behandeln, braucht es Zeit in der Pflege", weiß der Fachsozialbetreuer aus Erfahrung. 


Du bist als „Unglernter“ in den Beruf eingestiegen. Wie war der Anfang?
Michael Zehetner:  Ich hatte keine Ahnung vom Bettenmachen und generell von der Hausarbeit. Damals, vor 38 Jahren, gab es noch keine Ausbildungen, sondern nur diplomierte Pfleger*innen und Hausfrauen. Ich wagte den Sprung ins kalte Wasser, es war „learning by doing“. Das war sehr hart für mich und für die, die mit mir gearbeitet haben.

Nun prägt die Pandemie seit über einem Jahr deinen Berufsalltag. Wie hast du die letzten Monate erlebt?
Michael: Der Angstfaktor ist hinzugekommen, weil man Corona nicht in das Pflegewohnhaus hineinschleppen möchte. Unter der Maske und dem Schutzanzug aus Plastik schwitzt man stark, beispielsweise wenn man die Bewohner*innen duscht. Das ist nicht lustig und die eigene Energie wird knapp. Es ist wirklich eine harte Zeit und ich wünsche sie mir vorbei.

Was gibt dir Kraft?
Michael: Meine Kraftquelle ist die Arbeit. Ich kann den Bewohner*innen Gutes tun und ihnen das besagte Lächeln auf die Lippen zaubern. Es gibt nicht schöneres wie dieses ehrliche Danke. Besonders in dieser Zeit, in der vielen Bewohner*innen kaum noch Besuch von Verwandten bekommen. Darunter leiden die Menschen sehr. Manche haben seit einem Jahr keinen Besuch mehr bekommen. Zudem geben mir meine Hobbys Energie.

Welche Hobbys sind das?
Michael: Ich liebe Musik und Bücher. Ich habe über 800 Schallplatten und circa 5.000 Bücher zuhause, fast alle davon habe ich gehört beziehungsweise gelesen. Das Problem ist, wenn ich ein Buch beginne, kann ich nicht aufhören, bis es fertig ist. Das kann auch bis 4 Uhr in der Früh dauern. Des Weiteren nehmen die Natur und die Mathematik einen wichtigen Platz in meinem Leben ein.

Was brauchen Menschen, damit sie in Würde altern können?
Michael: Man muss die Biografie der Menschen berücksichtigen. Ich muss mich daran orientieren, was deren Geschichte ist und auch welchen Sprachjargon sie gewohnt waren. Bei uns im Pflegewohnhaus gibt es beispielsweise einen pensionierten Arzt und einen ehemaligen Holzfäller, beide dement. Ich muss Ihnen alleine schon in der Anrede unterschiedlich begegnen, damit sie sich in ihrer Welt abgeholt fühlen. Und man muss sich die Zeit für die Menschen nehmen. Zeit spielt eine große Rolle. Ich setzte mich dafür ein, dass wir einen höheren Pflegeschlüssel brauchen. Viele von uns werden einmal in der Situation sein, dass sie Hilfe bei alltäglichen Dingen brauchen. Dann sind wir dankbar, wenn sich Zeit genommen wird. Um Menschen menschlich zu behandeln braucht es Zeit in der Pflege.

Das Gefühl, man „schiebt“ seine Angehörige in ein Wohnhaus ab, ist immer wieder eine Hürde. Ist diese Sorge begründet?
Michael: Nein. Man kann den Angehörigen diese Befürchtung nehmen, dass ihre Liebsten nicht gut betreut werden, weil ich weiß, dass sehr viele Menschen in der Caritas Tag für Tag zum Wohle der Menschen arbeiten.